Rumpelstilzchen: Das Geheimnis wird gelüftet
 
 

Der König

Ein feiner Herr. Ei, ja? Er steigt von seinem Schloss herab und begibt sich unter sein Volk. Der arme Müller darf gar zu ihm sprechen. Doch von seinem hohen Ross steigt der Herr König nicht herab.

Der einfältige Müllersmann brüstet sich seiner Tochter. Doch was interessiert das schon einen König. Stroh zu Gold verspinnen soll sie können. Ja, das ist wohl eine Kunst, die ihm gefällt, denn er hat das Gold lieb (wie es in einer frühen Fassung heißt).

Auf sein Schloss bringen möge er sie gleich den nächsten Tag. Auf die Probe will er sie stellen. Nein, unbesehen nimmt der König eine Müllerstochter nicht. Und am anderen Tag kommt er auch direkt zur Sache, führt das arme Ding in eine Kammer voller Stroh, gibt ihr ein Spinnrad und verfügt, alles Stroh solle sie über Nacht zu Gold verspinnen oder ihr Leben lassen. Darunter tut es ein König nicht.

Das junge Ding von Müllerstochter wird von solcher Art männlichen Forderungen natürlich völlig überrannt. Doch ihr wächst unverhoffte Hilfe zu und aus nichtigem Stroh wird glänzend Gold. Der König aber ist nicht befriedigt, verlangt jetzt noch mehr Gold, führt die Hilflose in eine zweite, größere Kammer. Und zum zweiten Mal findet die junge Frau unverhoffte Beihilfe.

Jetzt wird der König weich. Wenn es auch nur eines Müllers Tochter ist, so scheint ihm auf der ganzen Welt eine reichere Frau nicht erreichbar. So sie ihm also eine dritte Kammer voll Gold spänne, wolle er sie zu seiner Gemahlin nehmen. Ob dieser arme König weiß, was er daherredet und was er mit seinem Gerde anrichtet?

Im Märchen steht der König für das männliche, väterliche Prinzip. Er repräsentiert das weltliche Gesetz und die soziale Ordnung. Aus dieser Perspektive sind der arme Müller und der goldbesessene König für das Müllermädchen zwei Aspekte derselben Gestalt. Was der Müller als Vater verkörperte, setzt der König als Gatte fort. Und wie die beiden hier vor der Müllerstochter erscheinen, nehmen sie sich nichts. Der eine ist so blind für ihre wahre Schönheit wie der andere. Der König ist auf seine Art nicht reicher als der Müller.

Wir sehen eine männliche Welt, die verarmt ist, weil das weibliche Element in ihr reduziert, instrumentalisiert und dadurch unterdrückt ist. Das Weibliche selbst wird in seinem schönen Wesen gar nicht wahrgenommen, nur die Trägerin des Weiblichen wird stilisiert und zur abstrakten Schönheit überhöht. Das ist auch heute hochaktuell.

Die schöne Tochter hat keine Freiheit, ihre ureigenen Qualitäten frei zu entfalten. Sie steht unter dem Zwang, sich nach außen hin gegen die väterlichen Erwartungen, die sich in Prahlereien manifestieren, zu wehren, um ihr Gesicht zu wahren, gleichzeitig aber diese Erwartungen nach innen zu erfüllen, um die Liebe des Vaters nicht zu verlieren. Ein emotionaler Spagat, der nicht dauerhaft tragfähig sein kann.

Emotional betrachtet missbraucht der Vater seine Tochter, denn er ignoriert ihre persönliche Befindlichkeit völlig, reduziert sie auf die Funktion der schönen Tochter. Und der König setzt diesen Missbrauch fort, indem er die Müllerstochter auf die Funktion der Goldspinnerin reduziert, die er sich per Eheschluss einverleibt, wenn sie denn genug Gold gesponnen hat. Beide Männer erleben das Mädchen nicht als atmendes, empfindendes Wesen. Sie unterwerfen es ihren egoistischen, männlichen Interessen.

Der Müller
Der König
Jungfer Müllerin
Rumpelstilz
Die Hochzeit
Das Versprechen
Das Opfer
Das Schlüsselwort
Erlösung
Eros
Das Ende

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