Rumpelstilzchen: Das Geheimnis wird gelüftet
 
 

Das Versprechen

Doch bevor die Müllerstochter in den Stand der Königin eintreten kann, ist die dritte Nacht, die Nacht der Nächte, sozusagen die Hochzeitsnacht zu bewältigen. Noch mehr hohles Stroh in einer noch größeren Kammer erwartet sie. Auch zum abschließenden, dritten Mal erscheint das treue Rumpelstilzchen, doch die Müllerstochter besitzt nichts mehr, das sie zum Lohn hingeben könnte.

Die Situation spitzt sich nun zu. Rumpelstilzchen schlägt vor, wenn sie denn Königin ist, soll sie ihm ihr erstes Kind geben. Und die junge Frau, in solcher Not, spricht es ihm zu. Was führt dieser Rumpelstilz im Schilde? Warum will er das Baby, und was hat er damit vor? Wir werden sehen.

Erst einmal hilft er jedenfalls der jungen Frau aus ihrer misslichen Lage, indem er sie heil durch die Nacht bringt. Der König ist zufrieden und hält Hochzeit mit ihr. Nun ist sie Königin. Und wie es nicht anders sein kann, bringt sie übers Jahr ein Kind zur Welt. An ihren wundersamen Retter denkt sie schon nicht mehr.

Manche Frau, die in ihrer Ehe nicht glücklich ist, wirft ihre Hoffnung bewusst oder unbewusst auf ein Kind. Sie fragt sich nicht, wie sie in solch eine Ehe geraten musste oder warum die Ehe (für sie) so wenig glückvoll ist. Die Situation wird resignierend hingenommen. Das Kind aber, ihr Kind wird das versäumte Glück ausgleichen.

Sieht man diesen Zusammenhang, dann ist die Formulierung von Wilhelm Grimm in der Ausgabe letzter Hand sehr treffend, wenn er schreibt: "brachte sie ein schönes Kind zur Welt"; denn dieses Kind wird die junge Königin auf ihre Art der gleichen Rolle unterwerfen, wie sie selbst seinerzeit des Müllers "schöne Tochter" sein musste.

Doch das junge Mutterglück wird jäh gestört, indem dieses Rumpelstilzchen wiederum ganz unvermittelt in ihrer Kammer erscheint und das Versprechen einfordert. Die junge Frau verfügt nun als Königin über Reichtümer, und noch immer in den männlichen Mustern verfangen, bietet sie alles, was sie hat, wenn sie nur ihr Kind behalten kann. Doch die Katastrophe, der Punkt der Wende ist erreicht, und Rumpelstilzchen spricht den Schlüsselsatz in diesem Drama: "Nein, etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt."

An dieser Stelle ist geboten, zunächst diesen Rumpelstilz zu rehabilitieren. Oben wurde schon behauptet, Rumpelstilzchen würde gewöhnlich als böse Figur interpretiert. Schauen wir uns die Fakten nun einmal genau an. Das Mädchen ist in Not. Rumpelstilzchen hilft ihr und verlangt dafür einen Lohn. Es handelt sich um ein faires Geschäft. Ihm ist das Kind versprochen, und er könnte auf den Vertrag pochen. Doch Rumpelstilzchen hat Mitleid und ist bereit, den bestehenden Vertrag nachträglich und einseitig zu seinem Nachteil zu ändern, eine zusätzliche Klausel aufzunehmen. Kein (Geschäfts-) Mann würde so reagieren und auch der König nicht. Rumpelstilzchen bietet an, wenn sie ihm in drei Tagen seinen Namen nennt, so soll sie das Kind denn behalten.

Der Müller
Der König
Jungfer Müllerin
Rumpelstilz
Die Hochzeit
Das Versprechen
Das Opfer
Das Schlüsselwort
Erlösung
Eros
Das Ende

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