Rumpelstilzchen: Das Geheimnis wird gelüftet
 
 

Die Hochzeit

War es von diesem Mann, eher zufällig ein König, anders zu erwarten? Er freut sich über die Maßen beim Anblick des Goldes, hat aber immer noch nicht genug und lässt die Müllerstochter in eine noch größere Kammer voller Stroh bringen.

Diese dritte Kammer ist nun aber der Ort der Entscheidung. Drei ist die Zahl der Vollständigkeit und Erfüllung. Das erste Element eröffnet, das zweite ergänzt oder widerspricht, das dritte aber verbindet, rundet ab. Mit dem Dreiklang verbinden wir die Vorstellung von Harmonie, die Dreieinigkeit. Drei ist also nicht wörtlich zu verstehen, die dritte ist einfach die letzte Kammer. Das bringt der König auch zum Ausdruck. Er befiehlt der Müllerstochter nämlich, auch noch dieses Stroh über Nacht zu verspinnen, droht ihr aber nicht mehr wie zuvor mit dem Tod, sondern mit der Ehe.

Er achtet diese Frau nicht, nein, er schätzt sie gering. Es ist ja nur eines Müllers Tochter. Was er schätzt, ist ihre nützliche Gabe, ihre Funktion, ihren Gebrauch. Von Liebe ist hier nicht die Rede, nur von Gold. Das Mädchen ist auch nicht gerührt, so wie es sein sollte, wenn ihm ein Heiratsantrag gemacht wird. Aber der König macht ihr auch gar keinen Antrag, er annektiert sie sozusagen. Er hat sie niedergerungen, seinen männlichen Gesetzen, Wertvorstellungen und Begehrlichkeiten unterworfen, und sie war ein braves Mädchen, hat sich seinen Erwartungen gebeugt, hat sie erfüllt, so wie sie zuvor Papa Müllers schöne Tochter war.

Dabei ist dieser König, schaut man nur genau hin, ein rechter Einfaltspinsel. Erst glaubt er einem armen Müller, seine Tochter könne Stroh zu Gold verspinnen. Ei, wieso ist der Müllersmann dann arm? Und wieso prahlt er herum, statt seinen Schatz zu verbergen und zu hüten, dass er ihm nicht abhanden komme. Und dann fragt sich der König auch mit keinem Gedanken, wie es das Mädchen bewerkstelligt, sein hohles Stroh in blankes Gold zu zwirnen. Ihn interessiert nur, was dabei herauskommt, sein Vorteil, sein Nutzen, sein Lustgewinn. Ob andere dafür bluten, bekümmert ihn nicht.

Ein weiteres Detail verdient Beachtung, die wundersame Strohverwandlung geschieht des Nachts. Wieso? Der Tag, symbolisiert durch die Sonne, ist die Zeit des Männlichen, Rationalen, Zielgerichteten. Dies ist die Zeit des Königs, hier ist er erfolgreich, setzt seinen Willen, seine Interessen durch. Zweifellos auch ist er wohlhabend, Gegenteiliges wird hier jedenfalls nichts erwähnt. Er braucht weiteres Gold nicht dringend nötig.

Die Nacht aber steht unter dem Zeichen des Mondes und ist die Zeit des Weiblichen, Emotionalen, Ganzheitlichen. Die Nacht ist die Zeit der Königin, um hier ›siegreich‹ zu sein, muss der König sein Szepter abgeben. Das vermag er aber nicht. Deshalb ist die ›nächtliche‹ Seite seines Lebens, sind seine Nächte wie Stroh. Ein Weibchen könnte ihm da gefallen, das ihm die Nacht vergoldet.

Die Müllerstochter hat sich zweimal seinem Willen gebeugt. Glücklich war sie nicht dabei. Sie hat Angst gehabt, um ihr Leben gefürchtet. Den König hat das nicht geschert, er hat sich an ihren nächtlichen Leistungen erfreut. Mehr und mehr hat er gefordert, ohne das Geringste zu geben. Und die Müllerstochter hat seinen Willen bedient, hat mit Hilfe des kleinen Männchens überlebt, dessen Geheimnis noch immer nicht gelüftet ist.

Nun, wo er sich das Mädchen gefügig gemacht und es sich notgedrungen bereitwillig gezeigt hat, lässt sich der König herab, sie zu seiner Frau zu machen. Eine hohe Zeit kann die Müllerstochter von dieser Ehe nicht erwarten. Solange der König nicht fähig ist, ihr die ›nächtliche‹ Hälfte seines Reichs zu überlassen, wird diese Beziehung nicht tragen.

Doch die Müllerstochter weiß um dieses Geheimnis nicht, weil sie es in der Männerwelt, in der sie aufgewachsen ist, weil sie es bei ihren Eltern nie anders gesehen hat. Sie ist nicht glücklich und ahnt zumindest, dass die Ehe mit diesem Mann kein Glück bringen wird, durch die Heirat Königin zu werden, scheint jedoch Entschädigung für die Tränen und Ängste der Nacht.

Der Müller
Der König
Jungfer Müllerin
Rumpelstilz
Die Hochzeit
Das Versprechen
Das Opfer
Das Schlüsselwort
Erlösung
Eros
Das Ende

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